REGULUS Wiss.Ber. Nr 18 (2000), S. 38-44

  Die Saatkrähe Corvus frugilegus: Eine Art mit positiver Tendenz in Luxemburg

Patric Lorgé


 Zusammenfassung: Der Bestand der Saatkrähe ist in Luxemburg durch regelmäßige Bestandszählungen gut erfasst. Aus diesem Grund kann die Bestandszunahme gut dokumentiert werden. Die erste Kolonie mit 150 Nestern wurde 1906 bei Lullingen gemeldet. Seit 1968 hat sich der Bestand fast vervierfacht, von 889 auf 3 250 besetzte Nester. Besonders auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg hat die Art stark zugenommen.

Summary: The Rook Corvus frugilegus: a species with a positive trend in Luxembourg. The increase of the Rook population is well documented through regular surveys. The first documented colony with 150 nests was reported from Lullingen in 1906. The population almost x4 since late 60ties, from 889 nests in 1968 to 3 250 nests in 1998. A very strong increase was noted in Luxembourg-City.

Résumé: Le Corbeau freux Corvus frugilegus: une espèce avec une tendance positive au Luxembourg. La population du Corbeau freux au Luxembourg est bien documentée à cause de comptages réguliers. La première colonie avec 150 nids fut notée en 1906 à Lullingen. Depuis 1968, la population a presque quadruplée, passant de 889 nids en 1968 à 3 250 en 1998. Une très forte augmentation a été notée sur le territoire de la Ville de Luxembourg.

Bereits Melchior schrieb 1987 im Atlas der Brutvögel Luxemburgs: „Als Brutvogel wurde die Saatkrähe bei uns erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgestellt und dies auffallenderweise im Ösling, jenem Teil des Großherzogtums in dem sie heute am spärlichsten brütet.“ Dies stimmt auch heute noch, denn aller Voraussicht nach hat sich die Saatkrähe auf den Lebensraum Stadt spezialisiert, wohl wegen der starken Verfolgung außerhalb der Dörfer. Die erste Kolonie bei Lullingen im Kanton Clervaux zählte 1906 bereits 150 Nester. Die Saatkrähe ist eine geschützte Vogelart, die in Luxemburg nicht gejagt werden darf.

1. Vorherige Bestandsaufnahmen

Wenn man auf ältere Bestandsaufnahmen zurückgreift, sollte man zuerst prüfen unter welchen Bedingungen und mit welcher Methodik diese Bestandsaufnahmen durchgeführt wurden. Oft beruhen diese auf Schätzungen oder Hochrechnungen. Bei der Saatkrähe besteht dieses Problem kaum, da jeweils die Nester der Kolonien gezählt wurden, so da die Resultate der einzelnen Jahre miteinander verglichen werden können.

1.1. Die Bestandsaufnahme von 1968
Die Saatkrähenpopulation wurde 1968 ein erstes mal systematisch erfasst (Wassenich, 1968). Der Autor hatte schon damals erkannt wie wichtig es ist genaue Daten zu haben und er ahnte, dass „ die positive Bestandsentwicklung der Saatkrähe zwangsläufig und recht bald weiteren Konfliktstoff einbringen würde“.

Wassenich gab nach seiner Bestandsaufnahme von 1968 einen Brutbestand von 889 Paaren verteilt auf 23 Kolonien an. Nur das Gutland war zu diesem Zeitpunkt besiedelt und hier am dichtesten das Alzettetal sowie andere fruchtbare Fluss- und Bachtalniederungen. Allerdings bezieht sich die Bestandsaufnahme von Wassenich nur auf Kolonien, Einzelnester wurden nicht mitgezählt. Der Autor schließt auch nicht aus einige kleinere Kolonien übersehen zu haben. Der Bestand wird auf etwa 1000 Paare geschätzt. Gegenüber den Angaben von Hulten/Wassenich aus dem Jahre 1960, sei dies schon fast eine Verdoppelung des Bestandes (Wassenich, 1968). Im Bereich der Stadt Luxemburg wurden nur drei Nester gezählt !

1.2. Die Bestandsaufnahme von 1986
Die Arbeitsgemeinschaft Feldornithologie der LNVL führte 1986 eine Bestandsaufnahme durch (Mentgen, 1988), bei der insgesamt 1 757 Nester in 58 Kolonien gezählt wurden. Der Bestand hatte sich also in den letzten 18 Jahren verdoppelt. Bemerkenswerterweise wurden auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg 22 Kolonien mit 423 Nestern gezählt. Auch das Oesling wurde wieder von Saatkrähen bevölkert: 97 Nester in 5 Kolonien. Zur Verstädterung der Saatkrähen schrieb Mentgen: „Im Zuge der intensiven jahrzehntelangen Verfolgung durch den Menschen verschwand die Saatkrähe immer mehr aus der Nähe kleinerer Ortschaften, aus Feldgehölzen und Wäldchen. Heute treffen wir sie fast nur noch in durchwegs großen Siedlungen an, wo sie sich wohl verhältnissmässig sicher fühlt.“

2. Die Saatkrähenbestandsaufnahme von 1998

2.1. Methodik

Jedem Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Feldornithologie wurde eine Liste der bisher bekannten Kolonien gegeben und für diese jeweils einen oder mehrere verantwortliche Zähler ausgesucht. Alle neuen Kolonien sollten bereits vor dem Zählwochenende ausfindig gemacht werden. Die Kolonien wurden am 4. und 5. April 1998 landesweit erfasst. Hierbei wurden alle besetzten Nester der einzelnen Kolonien gezählt (Kriterien für besetzte Nester: Nistmaterial eintragende Altvögel, auf dem Nest sitzende, brütende oder landende Altvögel). Bereits Anfang Februar belegen die Saatkrähen ihre Nester; Legebeginn ist Ende März.

2.2. Resultate
 
Ort Kolonie NS WE Nester Beobachter
Bascharage Biff 60.4 69.5 120  Ed Melchior, M.Ulmerich
Bascharage Gendarmeriegebäude 61.9 70.6 50 M.Ulmerich
Belveaux Rte de Soleuvre/Rte d'Esch 63.3 64.3 7 M.Ulmerich
Bereldange Gegenüber Déiereklinik 76 80 10 J.Weiss
Bertrange       8 F.Muller
Bettembourg Kloster 74.9 65.2 24 E.Huttert
Bettembourg Parc Jacquinot 75.3 64.5 125 E.Huttert, P.Jungers
Bettembourg Kirche 75 65 78 E.Huttert
Bettembourg Schloß 75 65 82 E.Huttert
Bettembourg-Dudelange Gare de triage     15 Ed Melchior
Brouch RTL Antennen Beidweiler 91 87 27 T.Conzemius
Capellen  Centre de réadaptation     40 N.Paler
Colmar-Berg   74.5 97.5 18 R.Streicher
Colpach-Bas Park Croix-Rouge Gebäude 55 91 17 J.Weiss
Colpach-Bas Feldgehölz 55 92 36 J.Weiss
Crauthem Schloß 78.2 66.6 8 P.Lorgé
Crauthem Pappel Alzette 78.2 66.7 14 P.Lorgé
Differdange Parc Municipal 59.9 65.5 26 M.Walesch, P.Mischo, M.Ulmerich
Dudelange Musée Communal, Rue Lang 74.1 60.8 30 G.Bechet
Dudelange Rue Marx - rue Jaurès 73.8 60.4 8 G.Bechet
Dudelange Parking Post 73.9 60.5 15 G.Bechet
Ehlerange „Brillbaach“ 65.1 65.3 43 Ed Melchior, M.Ulmerich
Ettelbrück Friedhof 75.1 100.7 17 R.Streicher
Fentange Alzette 79 70 29 P.Lorgé
Flaxweiler Muertendall - SIGRE 93 81 32 T.Conzemius, C.Heidt
Frisange Tracet Saarbücker Autobahn 81 64 44 P.Lorgé
Hellange Dorf 78.5 63.5 9 P.Lorgé
Heisdorf Bahnschranke, neue Kolonie 78 82 11 J.Weiss
Ingeldorf Kreisverkehr 76.4 101.5 16 R.Streicher
Kayl Rue de Noertzange,      23 Ed Melchior
Lamadelaine Lamadelaine-Rodange 56.8 68.5 34 M.Ulmerich
Livange Match 76.5 66 24 P.Lorgé
Livange Dorf 76.2 66 7 P.Lorgé
Lorentzweiler Gare CFL     147? J.Diederich
Niederanven Ortseingang, R. Übersyren 86 79 6 C.Heidt, J.Weiss
Pétange Coll. du Sud, 1 km vor Belg. 56.6 68.7 50 M.Ulmerich
Roeser Alzette 78.5 68 4 P.Lorgé
Sanem Park Kannerschlass 62.4 67.6 6 M.Ulmerich
Steinfort Friedhof     175 N.Paler
Walferdange ISERP + Umgebung     67 E.Melchior
Walferdange Eschen bei Alzettebrücke 77 80 160 J.Weiss
Wincrange Gegenüber Q8 Station     21 M. Jans
Wincrange Kirche     3 M.Jans
        1 539
   
Luxembourg Hollerich     355 F.Muller
  Gare     70  
  Limpertsberg     166  
  Merl     250  
  Gasperich     162  
  Clausen     62  
  Cessange     39  
  Ville     6  
  Bonnevoie     3  
  Cents     9  
  Kirchberg     1  
        1 123  
           
Esch/Alzette Brillschule 66.2 61.9 18 R.Peltzer
  Place Jean Jaurès 65.8 62.5 4  
  Brouchschule 65.6 63.0 21  
  Dipbach - Rue d'Ehlerange 65.2 63.5 17  
  Dipbach - Brücke 65.6 63.6 7  
  Dipbach - Auffahrt Collectri. 66.2 63.4 28  
  Dipbach - Gaswerk 66.9 63.4 93  
  Place de l'Exposition     1  
  Hopital - Rue E.Mayrisch 66.6 63.0 33  
  Place E.Mayrisch 66.6 62.9 56  
  Lycée Hubert Clement 66.3 63.0 20  
  Lallingen 67.2 64.0 71  
  Lallinger Kirche 67.0 63.8 14  
  Alzette Arbed 67.2 63.5 205  
      588  
           
T O T A L :
 1 539 + 1 123 + 588 
           = 3 250 Nester
 

Bei dieser Bestandsaufnahme wurden insgesamt 3 250 Nester in 68 Kolonien gezählt, was fast wiederum eine Verdoppelung des Bestandes ist. Somit hat sich der Bestand seit 1968 fast vervierfacht ! Mittlerweile liegt die Bestandsdichte bei 1 Brutpaar auf 0,796 km2. Verlassene Kolonien wurden bei Crendal, Hamiville, Mersch, Redange/Attert und Schandel festgestellt. Solche Kolonien werden aber oft nur kurzweilig verlassen und können bereits im nächsten Jahr wieder besetzt sein.

Besonders aber auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg ist der Bestand von 423 Nestern im Jahr 1986 auf 1123 angewachsen. Auf dem Gebiet der Stadt Esch/Alzette wurden insgesamt 588 Nester in 14 Kolonien gezählt. Besonders die Kolonien in Wohngebieten bringen die meisten Konflikte mit sich.
 
Jahr Bestand (besetzte Nester)
1906 105
1968 889
1986 1757
1998 3250

Tabelle 1: Zunahme des Saatkrähenbestandes im 20. Jahrhundert in Luxemburg

3. Die Saatkrähe in Luxemburg Stadt

Dank der jährlichen Zählungen von H. Fr. Muller und der Sektion Luxemburg-Stadt liegen für das Stadtgebiet genaueste Zahlen über die Zunahme der Saatkrähen vor. Diese Zahlen werden auch an die Stadtverwaltung weitergereicht. In den letzten Jahren gab es seitens Anwohner immer mehr Anfragen um die Lösung des Krähenproblems. Die Centrale Ornithologique Luxembourg hat ein Dossier zusammengestellt, in dem erstens über das vermehrte Vorkommen der Saatkrähen aufgeklärt wird und zweitens welche Abwehrmaßnahmen es gibt.

Zu dieser „Verstädterung“ tragen folgende Umstände bei. Die Saatkrähe ist ein Allesfresser und gilt als Nahrungsopportunist, d.h. sie bevorzugt die Nahrung die sie ohne großen Energieaufwand finden kann. In Städten finden sich solche Nahrungsquellen in hohem Maße (z.B. in Papierkörben, in Schulhöfen). Auch große Rasenflächen (in Parks, in Industriezonen, usw.) werden zur Nahrungsaufnahme genutzt. Der regelmäßige Schnitt begünstigt dabei die Nahrungssuche. Die Vögel finden in den Städten mehr Sicherheit vor Abschüssen als auf der Feldflur.

Fast überall dort wo sich Kolonien in der Nähe von menschlichen Behausungen angesiedelt haben, sind Konflikte entstanden. So fühlen sich die Menschen durch den Lärm und die Verschmutzung durch Kot beeinträchtigt und es wird zunehmend eine Dezimierung der Saatkrähe gefordert.

Die Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga - LNVL sieht diese Entwicklung, sowohl die wachsenden Saatkrähenbestände als auch die steigende Zahl an Beschwerden, mit gemischten Gefühlen: Einerseits herrscht Zufriedenheit über die Bestandszunahme einer Vogelart, andererseits gibt es die negativen Aspekte über eine zunehmende Polemisierung eines „Saatkrähenproblems“.

Anzahl der Saatkrähennester auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg:
 
1968 3 besetzte Nester   1996 1 160 besetzte Nester
1986 251 besetzte Nester   1998 1 123 besetzte Nester
1990  638 besetzte Nester   1999 1 195 besetzte Nester
1994 859 besetzte Nester   2000 1 210 besetzte Nester


Tabelle 2: Evolution des Saatkrähenbestandes in Luxemburg-Stadt

4. Die Saatkrähe: Eine geschützte Vogelart

Zum Schluss noch der erneute Hinweis, dass die Saatkrähe in Luxemburg kein Jagdwild ist, d.h., dass die Vögel nicht bejagt werden dürfen. Das Naturschutzgesetz von 1982 verbietet daneben jegliche Störungen. Auch die EU-Richtlinie 79/409 zum Schutz wildlebender Vogelarten verordnet außerdem ihren Schutz und verbietet die Zerstörung der Nester (Artikel 1, Zeile 4). Allerdings können vom Umweltministerium Ausnahmeregelungen ausgesprochen werden, die jedoch vorher von der EU genehmigt werden müssen. Alle Abwehrmaßnahmen und Störungen ohne eine solche Genehmigung sind strafbar.

5. Danksagung

Allen Mitarbeitern der Arbeitsgemeinschaft Feldornithologie, die sich an der Zählung beteiligt haben soll an dieser Stelle gedankt werden. Besonderen Dank gilt Herr Fr. Muller für seine Zählungen auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg und für seinen Einsatz zum Schutz dieser Kolonien

6. Literatur

MELCHIOR E. et al. (1987): Atlas der Brutvögel Luxemburgs
MENTGEN E. (1988): Die Saatkrähe. Regulus Beilage 9 , Seite 62 – 68
WASSENICH V. (1968): Bestand der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Luxemburg. Regulus 9: 293 - 299, 317 - 326