LNVL  -  Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga asbl
Veröffentlicht in Regulus (ISSN 1727-2122) 1975/17 S.364-368

Von der Schwalbenrettungsaktion 1974

von René Schmitt

Katastrophale Zugverhältnisse

Der herbstliche Schwalbenzug - sowohl der Wegzug der bei uns brütenden Schwalben als auch der Durchzug nördlicher Populationen - hat in unsern Breiten im allgemeinen in der zweiten Septemberhälfte seinen Höhepunkt und klingt Anfang Oktober ab. Die Kälteperiode Ende September/Oktober 1974 brachte den Zug zum Stillstand. Die durch einen Mangel an fliegenden Insekten bedingte Nahrungsnotlage zwang die Schwalben, nicht weiterzufliegen, Energie einzusparen und eine Besserung abzuwarten. Nachfolgende Artgenossen, die das Schlechtwettergebiet erreichten, verhielten sich ebenso, und es kam zu einer Stauung von Tausenden Vögeln an denselben Örtlichkeiten. Die hungrigen Tiere jagten über dem Wasserspiegel der Flüsse und Teiche oder in unmittelbarer Bodennähe in den Strassen der Ortschaften. Abends drängten sich die Mehlschwalben in den Nestern unter den Dächern - bis zu 16 Vögel wurden in ein- und demselben Nest gezählt -, andere ballten sich zu Klumpen unter den Dachvorsprüngen, während die Rauchschwalben nicht nur in Stallungen, sondern auch zur Übernachtung in die Wohnhäuser selbst einflogen, wenn sich Gelegenheit dazu bot, dies sogar am hellichten Tag, wenn das Unwetter allzu arg wütete. Mit allen Mitteln suchten die Tiere Wärme zu sparen, um den Nahrungsmangel überleben zu können. Doch die tiefen Temperaturen hielten an, eine Wetterbesserung blieb aus und es kam zur Katastrophe: Tausende von Schwalben gingen ein, fielen kraftlos zu Boden oder verließen ihren Schlafplatz nicht mehr.

Verlauf der Rettungsaktion.

Die Ausnahmesituation war nicht auf wenige Landstriche begrenzt, sondern betraf den Großteil West- und Mitteleuropas. Nach Schweizer Schätzungen (Bruderer 1975) hatten am 24. September mindestens die Hälfte, wahrscheinlich gegen zwei Drittel der nördlich der Alpen beheimateten Schwalben ihre Brutgebiete bereits verlassen. Wie konnte den zurückgebliebenen Vögeln, die einfach nicht mehr weiterkamen, geholfen werden ?
Die Vogelschutzliga hatte einen Aufruf erlassen, erschöpfte Vögel, die sich mit der Hand greifen ließen, rasch zu ihrer Sammelstelle zu bringen, wo versucht werden sollte, die geschwächten Tiere zu füttern und sie anschließend per Flugzeug nach dem Süden zu transportieren. Auf Anfragen wurden die Helfer immer wieder gebeten, nur flugunfähige, schwache Vögel zu sammeln; eine Ansammlung und Zusammenballung sei an sich eine Selbsthilfe der Vögel, um das Schlechtwetter zu überstehen. Die Rettungsaktion fand ein landweites Echo. In allen Gegenden wurden Schwalben eingesammelt und in der Sammelstelle ab 8. Oktober abgegeben. Da die Luxemburger Vogelschutzliga das Glück hatte, in Madame Useldinger-Schmit, einer seit Jahren tätigen Pflegerin von jungen, kranken und verletzten Vögeln, auf eine Expertin zählen zu können, um die eingelieferten Tiere bis zur Transportfähigkeit zu füttern, war eine Hauptbedingung für einen Erfolg geschaffen.

Für den Transport zeichnete der Mitarbeiterstab von Aircargo-Luxair verantwortlich. Ohne diese Hilfe wäre die Aktion sinnlos gewesen; nur der rasche Transport konnte die Tiere retten. Am 9. Oktober wurden die ersten 500 Schwalben auf dem Flughafen Findel zusammengebracht und mit einem Linienflugzeug der Luxair nach Rom geflogen und dort freigelassen.

Telefonanrufe und Abliefern von Schwalben in der Auffangstation nahmen derart zu, daß zwischen dem 10. und dem 20. Oktober eine Person ganztägig mit der Beantwortung der Anrufe und der Abnahme der Schwalbenkartons beschäftigt war. Glücklicherweise fanden sich nach einer kurzen Anlaufzeit eine Menge Helfer und Helferinnen im Hause 19 der Bertelsstraße ein, und in Tag- und Nachtarbeit wurde das Kunststück fertiggebracht, bis zu 1 000 Schwalben gleichzeitig zu beherbergen und zu füttern. Eine weitere Auffangstation war von der Tierschutzliga im Asyl von Gasperich eingerichtet worden. Zu einer koordinierten Aktion kam es allerdings nicht. Zeitweilig brachten auch die »Amis de la Nature« von Ettelbrück von ihnen eingesammelte Schwalben zum Flugplatz.

Dank der sorgsamen Fütterung und Pflege - die Tiere waren in großen Käfigen in unserer Auffangstation untergebracht und wurden erst kurz vor dem Abtransport zu ungefähr 50 Stück in geräumigen Kartons mit Sitzstangen verpackt - und des raschen Transportes kam es nur zu minimen Verlusten. So konnten immerhin gegen 5 000 Schwalben mit den größtmöglichen Überlebungschancen von der Vogelschutzliga verschickt werden. Insgesamt dürften etwa 10 000 Schwalben von Luxemburg aus per Flugzeug nach dem Süden transportiert worden sein.

Alle Vögel wurden kostenlos von Luxair entweder auf den Linienflügen direkt zu ihrem Bestimmungsort gebracht oder ab Frankfurt mit Hilfe anderer Fluggesellschaften weitertransportiert. Wir notierten vom 9. Oktober (erster Flug) bis zum 4. November (letzter Flug) folgende Verfrachtungen: Am 9., 10. und 14. Oktober je ein Flug nach Rom, am 15. ein Flug nach Casablanca (Marokko), am 16. je ein Flug nach Rom und nach Malaga (Spanien), am 17. je ein Flug nach Nice, nach Malaga und nach Casablanca, am 18 . ein Flug nach Casablanca, am 21. ein Flug nach Malaga. Vom 22. (1 Flug) und 23. (2 Flüge) fehlen die Bestimmungsorte in unsern Notizen. Letzte Verfrachtungen am 25.10., am 30.10. und am 4. November nach Rom.

Rauchschwalben
Zwei Rauchschwalben, die bei der Betreuerin unserer Vogelpflegestation, Madame Yvonne Useldinger-Schmit, in Luxemburg-Stadt überwinterten und am 1. Mai 1975 freigelassen wurden. (Aufnahme: René Bicheler)

Art und Herkunft der Vögel - Beringung

Die aus Luxemburg verfrachteten Vögel waren überwiegend Rauchschwalben (Hirundo rustica). Die Mehlschwalben (Delichon urbica) haben schätzungsweise kaum ein Fünftel des Totals ausgemacht. Die Uferschwalbe (Riparia riparia) war nur ganz vereinzelt vertreten.
Welchen Anteil jeweils die sich noch am Brutort aufhaltenden Vögel und die durchziehenden Vögel ausmachten, ist aus den uns vorliegenden Feststellungen nicht ersichtlich.
Vögel, die bei uns als Brutvogel oder als Nestling beringt worden waren, wurden nicht unter den in Luxemburg eingefangenen und dann verfrachteten Schwalben gefunden.

Von beringten Durchzüglern wurden festgestellt:

Es handelt sich hier also jeweils um Durchzügler aus nordöstlichen Gebieten.

Die von Luxemburg ausgeflogenen Vögel konnten leider nur teilweise beringt werden. Immerhin wurden 971 Ringe an Rauchschwalben, 166 an Mehlschwalben und 1 an eine Uferschwalbe angelegt. Von ihnen liegen aus der Brutsaison 1975 zwei Rückmeldungen vor:

Interessant sind auch die uns bekannten Schicksale auf dem Herbstzug 1974 von Schwalben, die während der Brutzeit 1974 in Luxemburg beringt worden waren: Demgemäß befand sich die Mehlschwalbe in südsüdöstlicher Richtung, die beiden erstgenannten Rauchschwalben in südlicher und die letztgenannte in südwestlicher Richtung vom Beringungsort.
(Die Beringungsdaten verdanke ich den Beringern Jean Weiss, Jim Schmitz, Jos. Peltzer, Fern. Kinnen, Emil Mentgen, Claude Schroeder).

Bilanz

Hatte die Rettungsaktion überhaupt einen Sinn ?
In der Tagespresse wurde das Für und Wider lebhaft vorgestellt. Es kann jedenfalls nicht bestritten werden, daß einem großen Teil der verfrachteten Schwalben das Leben gerettet wurde. So wurde beispielsweise in der Brutsaison 1975 aus Senningen gemeldet, daß eine Mehlschwalbenkolonie nicht mehr von den zurückgekehrten Vögeln besetzt wurde, die sich aber anderwärts im Dorfe neu ansiedelten. Bei einer Kontrolle wurden dann in den verlassenen Nestern zwei Dutzend Schwalbenmumien festgestellt, bis zu vier pro Nest.

Ganz bestimmt war die Lage katastrophaler in den Ländern, die am Nordrand der Alpen liegen, wo die Pässe bis auf 800 m zugeschneit waren. Diese Vögel wären ganz sicher verloren gewesen. So wurde eine Million Schwalben aus Südwestdeutschland versandt, eine halbe Million aus der Schweiz (Ruge 1975). Neben diesen Zahlen nehmen sich die ca . 10 000 aus Luxemburg verfrachteten Schwalben bescheiden aus. Unsere Vögel, die auf dem Herbstzug zum übergroßen Teil Süd- und Südwestkurs einschlagen, hätten sich bei einer Wetterbesserung viel leichter durchschlagen können. Auf Anfragen teilten wir den Helfern immer wieder mit, nur geschwächte Vögel zu sammeln, da bei einem Temperaturanstieg die übrigen auf eigenen Schwingen ihre Reise zu den Überwinterungsgebieten am Äquator fortsetzen könnten. Die 5.000 von uns versandten Vögel hatten jedenfalls große Überlebenschancen, da sie ausnahmslos aufgefüttert worden waren. Der Korrespondent von Luxair aus Rom konnte von Flügen ohne einen einzigen Ausfall melden. Die Verlustquoten dürften von verschiedenen Seiten übertrieben worden sein. Ruge (1975) berichtet von größeren Transporten aus Deutschland mit einer Ausfallquote von nur 1 bis 5% in der ersten Woche, bis 15% in der zweiten Woche. Bruderer (1975) spricht von Sendungen mit über 25% Toten, wenn die Schwalben an den Sammelstellen nicht gefüttert worden waren. Sendungen mit über 50% Toten scheinen glücklicherweise eine Ausnahme dargestellt zu haben.

Wir waren uns bewußt, daß die Rettungsaktion nur mit dem bekannten Tropfen auf den heißen Stein zu vergleichen ist und daß wir Naturkatastrophen größeren Ausmaßes hilflos gegenüber stehen, andrerseits freuten wir uns über die herzliche Hilfsbereitschaft aus allen Landesteilen. Den größten Dank schulden wir der Betreuerin unserer Sammelstelle, Madame Yvonne Useldinger-Schmit. Unser Dank gilt aber auch der Tierschutzliga, den Verantwortlichen des Aircargo von Luxair und den vielen Helfern, die einzig und allein aus Mitgefühl und aus Ehrfurcht vor dem Leben der Naturgeschöpfe an der Aktion teilgenommen haben.

Literatur:
Bruderer, B. (1975): Zur Schwalbenkatastrophe im Herbst 1974. Vögel der Heimat, 45. Jg., p. 69-75.
Ruge, Klaus (1975): Die Schwalbenkatastrophe 1974 im süddeutschen Raum. Ornith. Mitteilungen, 27. Jg., p. 9-12.

Anmerkung der Redaktion: J. Morbach erzählt in seinen Vögel der Heimat von einer ähnlichen Katastrophe 1931.


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