LNVL  -  Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga asbl
Veröffentlicht in Regulus (ISSN 1727-2122) 1980/2 S. 25-30

Die Brutpopulation von Buteo buteo im Süden des Landes (Umgebung von Monnerich)

1. Einleitung und Zielsetzung
Als Beutegreifer gehört der Mäusebussard zu der »berüchtigten« Familie der Krummschnäbel (Greife und Eulen), die auch heute noch bei vielen Menschen verfemt sind. Bis ins Unterbewußtsein wurzelnde Abneigung - Sagen und Märchen bestätigen dies -, während Jahrhunderten überliefert und geschürt, brachten eine ganze Vogelfamilie in Verruf und setzte sie andauernder Verfolgung aus. Dabei spielten Aberglaube und vermeintliche Jagdkonkurrenz eine entscheidende Rolle. Zumindest in den Gründerjahren trug dann auch noch ein falsch verstandener, einseitig auf die Singvögel ausgerichteter Vogelschutz, zu diesem negativen Image bei. Wer glaubt, all dies gehöre Gott sei Dank seit langem der Vergangenheit an, zumal die Menschen im Zeitalter der Massenmedien immer mehr und besser über die wahren Zusammenhänge im Naturgeschehen informiert werden und ökologische Begriffe damit ins Bewußtsein immer breiterer Bevölkerungskreise dringen, der irrt gewaltig. Hauptsächlich aus Jägerkreisen werden in letzter Zeit nicht nur bei uns, sondern auch in den Nachbarländern, immer mehr Stimmen laut, die wieder Schußzeiten für die Greifvögel - in Luxemburg stehen sie seit 1967 unter totalem Schutz -, insbesondere aber für den Mäusebussard fordern. Ihm wird dabei seine vermeintliche Häufigkeit - er soll von Jahr zu Jahr zunehmen - zur Last gelegt, die in direkter Relation zur auffälligen Abnahme des Niederwildbestandes stehen soll. Diese Arbeit, die eigentlich erst nach einer 10jährigen Beobachtungsperiode (1971-1981) ihren Abschluß hätte finden sollen, soll aufzeigen, daß solche Behauptungen völlig aus der Luft gegriffen und die vorgebrachten Klagen damit gegenstandslos sind.

2. Geographische Angaben
Die zu den Siedlungsdichteuntersuchungen ausgewählte Probefläche hat eine Größe von 25 km2. Sie liegt im Süden des Landes (278-332m NN) und gehört zur Liasformation. Im leicht gewellten Gelände herrschen also fruchtbare, aber schwere Lehmböden vor, die zu Staunässe neigen. Sie werden intensiv landwirtschaftlich genutzt, wobei der Hauptakzent auf der Viehzucht (Milch- und Mastvieh) liegt. Getreideanbau (Weizen, Hafer, Gerste) wird nur auf den Hügelrücken betrieben, während in tieferen Lagen Mähwiesen und Viehweiden vorherrschen.
Eichen-Hainbuchenwald ist typisch für die Liasböden. Die Probefläche macht hierin keine Ausnahme. Rotbuchen sind deutlich in der Minderheit, während kleinere Fichtenbestände kaum erwähnenswert sind. Der Waldanteil der Probefläche beträgt rund 1,8 km2, also nur 7,2%. Die relativ große Waldrandlänge (Addierung des Umfangs der einzelnen Wälder) von 17,6 km resultiert aus der starken Parzellisierung des Waldbestandes, wobei viele Wälder zusätzlich eine schmale, langgezogene Form aufweisen. Diese Zahl ist sicherlich von Bedeutung, da die Mäusebussarde bevorzugt in der Waldrandzone nisten. Die Ortschaften gehören zum landschaftsästhetisch unschönen »Zersiedlungstyp« und greifen mit ihren Wohnstraßen und Industriezonen wie Krakenarme weit in die Landschaft. Insgesamt dufte die von ihnen eingenommene bzw. direkt »abhängige« Fläche rund 2 km2 betragen, also 8% der Gesamtfläche.
Während der Beobachtungsperiode (1971-1979) traten, was den Waldbestand anbelangt, keine Veränderungen ein. Dasselbe kann man allerdings nicht von der Feld- und Wiesenflur behaupten. Hier muß vor allem das Verschwinden vieler Heckenreihen und der gehäufte Anbau von Mais anstelle von Hackfrüchten und Feldbohnen erwähnt werden. Die Frühmahd zwecks Silage machte sich hingegen erst in den beiden letzten Jahren in zunehmendem Maße bemerkbar.
Weiterhin war in den verschiedenen Ortschaften ein wahrer Bauboom zu verzeichnen. So fraßen sich Häuserreihen und Industriezonen immer weiter in die Landschaft hinein.

2.1. Zusammenfassung:
Größe der Probefläche:
25 km2 (5x5 km)
Höhenlage: 278-332m NN
Geologische Formation: Lias
Waldtyp: Eichen-Hainbuchenwald
Waldanteil: 1,8 km2, 7,2%
Waldrandlänge insgesamt: 17,6 km
Gesamtfläche der Ortschaften: ±2 km2, 8%


D = DumontshafT
E1 = Ehlingen
E2 = Ehleringen
F = Foetz mit Industriezone
K = Kartingpiste
L = Lallingen
M1 = Metzerlach
M2 = Monnerich
P = Pissingen
S = Schifflingen
U= Uerschterhaff
Z =Zementwerk

• = Brut 1971
Dreieck = Brut 1972
Quadrat = Brut 1975
x = Brut 1979


3. Angewandte Methode
Die Siedlungsdichteuntersuchungen wurden durch die Tatsache erleichtert, daß die Probefläche einen geringen Waldanteil aufweist, wobei die einzelnen Wälder neben ihrer verstreuten Lage auch noch relativ kleinflächig sind und sich deshalb ziemlich leicht auf besetzte Horste hin untersuchen lassen. So wurden in den Wintermonaten sämtliche vorgefundenen Horste kartiert und im zeitigen Frühjahr auf eine eventuelle Besetzung hin kontrolliert. Da beim Mäusebussard das Brutgeschäft früh einsetzt, konnten in der Regel auch neu erbaute Horste noch vor der Belaubung der Bäume registriert werden. Natürlich gaben auch Sichtbeobachtungen (Balzflüge, Revierverteidigung, Jagdansitz usw.) wertvolle Aufschlüsse über Revierbesetzungen bzw. erleichterten oder bestätigten die Diagnose am Horst. Horstbaumbesteigungen wurden nur wenige durchgeführt. Dank regelmäßiger Kontrollgänge während der gesamten Brutzeit (wenigstens einmal wöchentlich) kann ruhigen Gewissens behauptet werden, daß kein Brutpaar unerfaßt blieb.

4. Ergebnisse und Diskussion
4.1. Siedlungsdichte
Gleich zu Beginn des Kommentars zu den Ergebnissen sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auf einer bestimmten Probefläche ermittelte Siedlungsdichtewerte nicht automatisch auf andere Gebiete übertragbar sind und sich schwerlich auf ganze Länder hochrechnen lassen. Hervorgerufen durch die Verschiedenheit der einzelnen Biotope kann die Siedlungsdichte nämlich je nach Landschaftsform große Unterschiede aufweisen. Aber auch innerhalb eines bestimmten Gebietes sind jährliche Schwankungen festzustellen, wie die Tabelle zeigt. Daß die Siedlungsdichte dabei in direkter Relation zu dem Vorkommen der Feldmaus - dem Hauptbeutetier des Mäusebussards - zu stehen scheint, zeigen die Jahre 1971 und 1972 in recht eindeutiger Weise. 1971 gilt im Volksmund als ausgesprochenes »Mäusejahr«. Schon im April zeichnete sich die Gradation ab, um im August ihren Höhepunkt zu erreichen. Wie es zu einer solchen Massenvermehrung kommen kann, sei kurz erläutert:
Der periodische Massenwechsel der Feldmaus (Microtus Arvalis)
1. Allgemeiner Verlauf
Bei allen freilebenden Tieren sind Bestands-Schwankungen eine natürliche Erscheinung. Bei der Feldmaus sind diese Schwankungen jedoch durch ein besonders großes Ausmaß (= Massenwechsel), noch mehr aber durch die Regelmäßigkeit gekennzeichnet, mit der sie sich wiederholen. Etwa alle 3 Jahre wird durch Übervermehrung ein - mancherorts katastrophaler -Populationsanstieg hervorgerufen. Die Gradation erreicht schließlich einen Gipfelpunkt, um dann meist schroff und innerhalb kurzer Zeit zusammenzubrechen. Aus den wenigen übrig bleibenden Tieren baut sich die Population in weiteren 3 Jahren zunächst langsam, dann rasch wieder auf bis zu einem neuen Gipfel. Nach Frank (1956) ist das Zusammenwirken von 3 Faktorengruppen die Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gradation:
1. Das außerordentlich hohe Fortpflanzungspotential, das durch ganz ungewöhnlich frühe Geschlechtsreife, durch pausenlose Wurffolge (infolge der Gleichzeitigkeit von Säugen und erneuter Trächtigkeit) und durch hohe Wurfgrößen bedingt ist.
2. Das hohe Verdichtungspotential, das durch die Nestgemeinschaften mehrerer Weibchen und die Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses bewirkt wird.
3. Ein optimales Nahrungsangebot von hohem Eiweißgehalt in Verbindung mit guten Dek-kungsmöglichkeiten, günstiger Witterung und nicht zu hohem Grundwasserstand. Die Bodenart spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Vor allem die intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen der »Kultursteppe« begünstigen das Zustandekommen von Gradationen. Die entscheidenden Faktoren für den rapiden Zusammenbruch der Gradationen sind nach Frank (1953) nervöse Unruhe infolge Überbesiedlung (»Gedrängefaktor« nach Zimmermann) und in Verbindung damit eine Überbelastung des Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems mit folgendem hypoglykämischem Schock (»shock disease« nach Green, 1939) sowie Hunger infolge schnell fortschreitender Nahrungsverknappung. Die Wetterunbilden der kalten Jahreszeit wirken beschleunigend auf den Massentod der Feldmäuse (Herold, 1954). Neueste Untersuchungen zeigten, daß die strenge Regelmäßigkeit der Zyklen, wie sie früher angenommen worden war, nicht besteht, jedenfalls nicht in unseren Breiten. Ein außergewöhnlich harter Winter kann den Populationsanstieg verzögern, wie umgekehrt ein extrem milder Winter einen fälligen Zusammenbruch hinausschieben und die Gradation einen weiteren Sommer andauern lassen kann (Frank, 1954). Jede Feldmaus-Population kann ihre eigene Dynamik der Entwicklung haben und ein Vorauseilen oder Zurückbleiben zeigen (Stein, 1958).(7)

Jahr Größe der Probefläche (davon Wald) Zahl der Brutpaare Dichte (Zahl) der Brutpaare pro 10 km2 Angebot an Feldmäusen
1971 25km2 (1,8km2) 19 7,6 Ausgesprochenes Feldmausjahr (Gradation)
1972 " 10 4,0 Feldmausarmes Jahr (nach Zusammenbruch der Gradation)
1975 " 13 5,2 Nichts Auffälliges in Bezug auf die Feldmauspopulation festzustellen
1979 " 12 4,8 Nichts Auffälliges in Bezug auf die Feldmauspopulation festzustellen

4.2. Reaktion auf das Nahrungsangebot
Die Bussarde reagierten folgendermaßen auf das überreiche Mäuseangebot:
4.2.1. Zunahme der Brutpaare
Während im untersuchten Gebiet in mehr oder weniger »normalen« Jahren (1975, 1979) 12-13 Pare brüteten, stieg die Zahl der Brutpaare im Jahre 1971 auf 19. Dabei drängten sich die »hinzugekommenen« Paare nicht etwa zwischen die anderen , sondern besetzten ganz neue Reviere, wobei man die ausgesuchten Nistplätze durchaus als atypisch bezeichnen kann. So brüteten beispielsweise 2 Paare jeweils weit außerhalb des Waldes auf einer Eiche, die mit anderen Bäumen ihrer Art eine dichte Hecke überragte. Ein weiteres Paar brütete in einer Pappelreihe ganz in der Nähe eines Erlenwäldchens, und ein viertes Paar traf eine noch ausgefallenere Wahl. Sein Horst stand nämlich etwa 3 m hoch in einem dichten Weißdornbusch in freier Flur.
4.2.2. Größere Jungenanzahl
Obschon systematische Horstkontrollen nicht durchgeführt wurden, luden im Jahre 1971 verschiedene Horstbäume geradezu zum Besteigen ein. Dabei konnten einmal 2, zweimal 3 und einmal 4 Jungvögel gezählt werden. Nach dem Flüggewerden der Jungen konnten weiterhin 2 Familien mit 2, 3 Familien mit 3 und 2 Familien mit 4 Jungvögeln bei gemeinsamen Flugspielen beobachtet werden. Im Jahre 1972 wurden bei 2 Horstkontrollen nur jeweils 2 Jungvögel festgestellt. In einem Fall war das schwächere Junge dann plötzlich verschwunden. Es handelte sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Fall von Kannibalismus. Bei Greifvögeln wurde ja schon öfter festgestellt, daß bei Nahrungsknappheit schwächere Junge von den stärkeren vom Futter verdrängt werden, schließlich eingehen und anschließend von ihren Geschwistern gekröpft werden. Was den Bruterfolg 1972 anbelangt, so konnten beispielsweise 2 Familien mit je 2 und 3 Familien mit je einem flüggen Jungvogel beobachtet werden, l Brut war erfolglos.
4.2.3. Schöpfen aus dem vollen
»Gemäß seinem Körperbau, der Leistungsfähigkeit seiner Greif-Füße sowie der relativ geringen Geschwindigkeit und Wendigkeit seines Fluges kann der Bussard grundsätzlich nur solche Tiere erbeuten, die nicht mehr als maximal ungefähr 500 Gramm schwer sind, meist am Boden leben und sich relativ langsam fortbewegen. Neben den verschiedenen Arten von Mäusen kommen Maulwürfe und andere kleine Säuger bis zur Größe etwa eines Junghasen in Betracht, sowie eben bzw. noch nicht flügge Jungvögel, dazu Kriechtiere und Lurche. Größere Tiere kann der Bussard nur dann überwältigen, wenn sie verletzt oder krank und stark geschwächt sind. Außerdem geht er auch an tote Tiere (und gerät dadurch nicht selten in einen falschen Verdacht.
Die Sonderstellung der Feldmaus in der Beute-Zusammensetzung ist nicht auf eine Spezialisierung zurückzuführen, sondern sie ist wohl vor allem darin begründet, daß der Bussard hauptsächlich auf freiem Feld jagt, wo unter allen hier in Betracht kommenden Beutetieren die Feldmaus in der Regel am zahlreichsten auftritt und als tagaktive Maus relativ leicht erbeutet wird. Die Erdmaus dagegen, die ja ähnliche Gradationen zeigt, ist in bester Deckung für den Bussard ziemlich unangreifbar, ebenso wie die Rötelmaus, die man trotz ihrer in manchen Jahren alle anderen überragenden Häufigkeit nur gelegentlich als Bussardbeute feststellen kann. Die auch auf freiem Feld oft sehr stark verbreitete Waldmaus würde zahlreicher erbeutet werden, wenn sie nicht nachtaktiv wäre. So bleibt von den häufigeren Mäusearten eben die Feldmaus als Hauptbeutetier des Bussards übrig. Nur nach einem Gradations-Zusammenbruch überwiegen andere Tierarten in der Bussardbeute. Von einer Beute-Auswahl kann nicht gesprochen werden, sondern der Bussard nimmt offensichtlich immer das am häufigsten, was sich ihm am zahlreichsten anbietet.“(7)
Zu diesem Thema seien auch ein paar eigene Beobachtungen angefügt. Bei einer Horstkontrolle am 1. 5. 1971 konnten nicht weniger als 28 tote Feldmäuse auf dem Horstrand gezählt werden, wovon 6 angekröpft waren. Außerdem lag ein halbverzehrter Maulwurf unter dem Horstbaum. Die 2 Jungvögel hatten sicherlich nicht unter Nahrungsmangel zu leiden. Im Jahre 1972 konnte hingegen beobachtet werden, wie mehrmals ein Regenwurm verfüttert wurde. Daß Regenwürmer während Nahrungsengpässen durchaus eine Rolle in der Ernährung spielen können, bezeugt der Fund eines überfahrenen Mäusebussards, den mir Mme M. Reinard im Jahre 1979 zeigte. Sein Kropf enthielt ausschließlich Regenwürmer, und zwar eine gute Handvoll.

5. Natürliche bestandsregulierende Faktoren
5.1. Relation Beutetier-Beutegreifer
Aus den Untersuchungen geht klar hervor, daß der Bestand des Mäusebussards in dem Zeitraum von 1971-1979 nicht zugenommen hat, sondern je nach Mäuseangebot um einen bestimmten Mittelwert pendelt, der weitgehend von der Landschaftsform mit ihrem Angebot an primären und sekundären Biotopen bestimmt wird. Je größer oder kleiner das Angebot an Feldmäusen ist, desto stärker schlägt das Pendel nach links oder rechts hin aus. Die Beutetiere bestimmen also die Populationsdynamik der von ihnen lebenden Beute greifer- und nicht umgekehrt!
5.2. Witterungseinflüsse
Ganz allgemein gesehen wirkt sich naßkalte Witterung in den Frühlings- und Sommermonaten negativ auf die Reproduktionsrate der Warmblüter aus, folglich auch auf diejenige des Mäusebussards. Desgleichen müssen die Altvögel während harter, schneereicher Winter einen nicht unerheblichen Tribut zahlen. Davon betroffen sind vor allem Mäusebussard und Turmfalke, da die Mäuse, ihre Hauptbeute, unter der Schneedecke verborgen bleiben. Habicht und Sperber, in der Hauptsache von Vögeln lebend, haben hingegen kaum Hunger zu leiden. Sie machen sich allerdings an Futterplätzen unbeliebt, da sie die sich dort einfindenden Kleinvögel zehnten. Wer aber will ihnen dies verdenken, da sie, genau wie jedes andere Lebewesen auch, den Weg der geringsten Anstrengung gehen und sich dort einfinden, wo ihre natürlichen Beutetiere - durch Menschenhand bedingt - gehäuft auftreten. Das gleiche gilt übrigens für die Fasanenschütten.
Die Natur hat also genügend natürliche »Bremsen« gegen eine einseitige Überbevölkerung eingebaut. Das sogenannte ökologische Gleichgewicht ist damit gewährleistet.

6. Gefährdungsursachen
6.1. Pestizide
Nach den Untersuchungen von Conrad 1977 (4) wird wohl niemand mehr daran zweifeln, daß die Greifvögel als Endglieder von Nahrungsketten in besonderem Maße von Schadstoffen belastet sind. Die begifteten Insekten werden von kleineren Vögeln und Säugern (z.B. Spitzmäuse) verzehrt; diese wiederum werden die Beute der Greife; das Gift wird nach und nach im Fettgewebe und in der Leber gespeichert und erreicht schließlich Konzentrationen, die die Fortpflanzung durch »Verzögerung und Reduktion der Ovulation und Spermienproduktion, dünnschalige, zerbrechliche Eier, stark erhöhte Embryonen- und Nestlingssterblichkeit und Einstellen der Brutaktivität« (4) beeinträchtigen. Besonders HCB (Hexachlorbenzol), DDE (Hauptabbauprodukt von DDT, dessen Anwendung bekanntlich verboten ist) und PCB (polychlorierte Biphenyle) sind hier zu nennen, wobei DDE und PCB als besonders gefährlich gelten. Hauptsächlich die von Kleinvögeln lebenden Greife (Habicht, Sperber, Wanderfalke) sind durch Pestizide gefährdet, während Mäusebussard und Turmfalke als ausgesprochene Mäusevertilger »besser« wegkommen.
6.2. Verkehr
Die Geschwindigkeit eines heranbrausenden Autos können die Greifvögel - und nicht nur sie - natürlich nicht berechnen. So werden alljährlich Tausende zuschanden gefahren, besonders auf Autobahnen. Der Mäusebussard gehört dabei zu den häufigsten Opfern. Für ihn sind die Autobahnen aus zweierlei Gründen attraktiv:
a) Wegen des Angebots an Kleinnagern in den regelmäßig abgemähten Böschungen und des bequemen Ansitzes von den Straßenlampen und Hinweistafeln aus.
b) Wegen der großen Anzahl von überfahrenen Tieren (Igel, Hasen, Kaninchen, Vögel usw.), an deren Kadaver er sich gütlich tut. Bei dieser Aktivität erwischt es ihn übrigens dann auch meistens selbst.
6.3. Verfolgung seitens der Jägerschaft
Leider fallt der Mäusebussard, genau wie die anderen Greifvögel, trotz gesetzlichen Schutzes auch weiterhin
so manchem Jäger zum Opfer. Dabei werden sowohl Flinte als auch Habichtskorb und Pfahleisen eingesetzt. Wir befürchten, daß beobachtete Abschüsse, tot aufgefundene Greife, bei denen sich nach Röntgenaufnahme Schrotkugeln nachweisen ließen, sowie von uns entdeckte, in freier Natur aufgestellte Habichtskörbe und Pfahleisen nur die Spitze eines Eisberges darstellen.
Eine weitere verwerfliche Praxis mancher Jäger ist das Beschießen der Rabenkrähen- und Elsternnester im Frühjahr, ohne sich vorher vergewissert zu haben, ob sie auch tatsächlich von als »jagdschädlich« geltenden Elstern oder Rabenkrähen besetzt sind. Besonders Turmfalken und Waldohreulen müssen hierbei Tribut zahlen, da sie sich für ihr Brutgeschäft oftmals alte Krähen- und Elsternnester aussuchen. Daß aber auch im Jahre 1980 noch auf brütende Greifvögel Dampf gemacht wird, beweist ein Habichtshorst im Norden des Landes, unter dem eine frische Patronenhülse gefunden wurde. Logischerweise ist besagter Horst seither verwaist, denn ohne Weibchen geht das Brutgeschäft nun einmal nicht. Die Bekämpfung von Elstern und Rabenkrähen mit Hilfe von Gifteiern muß erst recht angeprangert werden, da diese Aktionen ungezielt ablaufen und ihnen auch viele andere Tiere (einmal sogar ein Fasanenhahn) zum Opfer fallen. Angepickte Eier stellen nämlich für eine Vielzahl von Tieren eine große Verlockung dar. Verendete oder sich am Verenden befindende Rabenvögel werden außerdem oft die Beute von Greifen, die dann ebenfalls indirekte Giftopfer werden.
Es muß allerdings hervorgehoben werden, daß sich immer mehr Jäger, besonders solche der jüngeren Generation, von den eben angeführten Praktiken distanzieren.

7. Jagdschädlichkeit
Wie eine sehr fundierte Publikation von Dr. W. Berndt (1980) (2) zeigt, ist ein Einfluß der Greifvogelbejagung auf die Entwicklung der Niederwildstrecken nicht ersichtlich. Die Studie, die jeder ernsthaft interessierte Jäger einfach gelesen haben muß, basiert auf Angaben 29 staatlicher Forstämter aus dem Großraum Hannover.


Niederwildstrecke und Greifvogelabgänge in Niedersachsen
Mit Eintritt der Vollschonung der Greife im Jahre 1970 ändert sich die Tendenz der Niederwildstrecken nicht.
Es soll jedoch gar nicht geleugnet werden, daß der Mäusebussard auch mal einen Junghasen, ein Wildkaninchen oder ein Rebhuhn- bzw. Fasanenküken schlägt. Daß er aber einen erwachsenen, gesunden Hasen überwältigen kann, stimmt nicht, darin sind sich alle Jagdexperten einig. Eine interessante, von R. Neys gemachte Beobachtung möge dies bestätigen. Er konnte nämlich zusehen, wie ein Mäusebussard einen Angriff auf einen erwachsenen Hasen wagte. Das Ganze spielte sich unweit eines Waldes in einer Mähwiese ab. Als der Bussard über dem Hasen war, richtete dieser sich auf und »verprügelte« den Angreifer mit den Vorderläufen. Dieser drehte ab, um anschließend einen neuen Angriff zu starten. Inzwischen strebte der Hase eilig dem Waldrand zu. Das eben beschriebene Schauspiel wiederholte sich mehrere Male. Jedesmal langte der Hase kräftig zu, so daß sogar die Federn flogen. Er erreichte schließlich den Waldrand, und der Bussard mußte unverrichteter Dinge abdrehen.
Wird ein Mäusebussard deshalb beim Abstreichen von einem erwachsenen Hasen oder Fasan angetroffen, so muß davon ausgegangen werden, daß das Stück entweder nicht gesund oder krank geschossen war, von einem anderen Tier geschlagen und übernommen oder ganz einfach als Kadaver angenommen wurde. Im Horst vorgefundene Beutereste von erwachsenen Hasen oder Fasanen stammen meistens von Verkehrsopfern oder von Stücken, die in die Mähmaschine gerieten. Auch Junghasen stammen übrigens vielfach aus solchen Quellen. Es gibt übrigens seit kurzem »Wildretter« genannte Geräte, die sich leicht an Kreiselmähern befestigen lassen, und mit denen man gute Erfolge erzielte. So wurden beispielsweise 1979 in Luxemburg 16 Geräte auf einer Einsatzfläche von 205 ha Grünland in 18 Betrieben getestet. Resultat: 188 Wildtiere wurden zum Aufstehen und zur Flucht gebracht. Davon 83 Rehkitze, 96 Fasane und 9 Hasen. 7 Rehkitze und 4 Fasane kamen zu Schaden (Pressemitteilung 7.6.80).
Werden in Kaninchenrevieren die schnellen Flitzer gehäuft von Mäusebussarden geschlagen, so deutet dies auf beginnende Myxomatose hin. Ist die Seuche erst einmal ausgebrochen, so kommt dem Bussard zusammen mit Fuchs, Habicht u.a. sogar eine Rolle als Gesundheitspolizei zu. Damit bestätigt sich wieder einmal, daß jedem Beutegreifer erwiesenermaßen zuerst anormal gefärbte (z.B. albinotische) oder sich anormal benehmende (z.B. kranke, verhaltensgestörte) Beutetiere zum Opfer fallen. Die Beutegreifer stellen also einen durchaus erwünschten Auslesefaktor dar, indem sie nur gesunde Tiere, also solche mit intakten Genen, zur Reproduktion kommen lassen.
Oft wird von Jägerkreisen darauf aufmerksam gemacht, daß Mäusebussarde dem Niederwild hauptsächlich während der Wintermonate großen Schaden zufügen, weil sie ganz einfach in zu großer Zahl auftreten. Daß in manchen Wintern viele Mäusebussarde nordischer und ostischer Herkunft bei uns überwintern, kann nicht abgestritten werden. Ringfunde deuten nämlich daraufhin; sie zeigen aber auch, daß in manchen Jahren viele »unserer«.Bussarde südlichere Gegenden zur Überwinterung vorziehen. Das jeweilige Nahrungsangebot spielt sicherlich eine große Rolle. So lädt ein reichliches Mäuseangebot geradezu zum Verweilen ein. Bei plötzlich eintretenden Schneefallen, von denen große Teile Europas gleichzeitig betroffen sind, kann dies natürlich zu Nahrungsengpässen führen. Solche Winter sind aber nicht nur für die Greifvögel verheerend - im Winter 1978/79 wurden beispielsweise allein 17 tote Mäusebussarde an Mitglieder der Vogelschutzliga abgeliefert - sondern auch für die Niederwildbestände.
Geschwächte, dem Hungertod preisgegebene Tiere werden dabei natürlich schnell die Beute der halbverhungerten Greife. Verloren wären sie aber ohnedies. Daß Futterstellen, sei es für Kleinvögel oder für Fasane, Greife (vor allem Habicht und Sperber, in geringerem Maße auch Turmfalke) geradezu magisch anziehen, wurde schon in Kapitel 5.2. erwähnt. Dem Mäusebussard kann man durch das Auslegen von Fleischbrocken (am besten auf tischähnlichen Gestellen, damit kein Fuchs darankommt) helfen und somit erreichen, daß er den Niederwildbeständen keine übermäßige Aufmerksamkeit widmet. Es sei aber unmißverständlich hervorgehoben, daß Fütterungsaktionen, seien sie auch noch so gut gemeint, langfristig
gesehen so gut wie keinen Einfluß auf die Bestandsentwicklung haben, egal ob es sich dabei um Kleinvögel, Greife oder Niederwildarten handelt. In punkto Siedlungsdichte sowie Reproduktionsrate unterliegen Tierpopulationen nämlich natürlichen, von vielen Faktoren (beispielsweise Nahrungsangebot, Witterungsverhältnisse) abhängigen Zyklen. So kommt es zu einer Folge von sehr guten, guten, weniger guten oder auch schlechten Jahren. Überhandnehmen oder aussterben wird eine Tierart aber nicht, solange die Natur noch einigermaßen intakt ist, d.h. solange der Mensch nicht in einschneidender Weise in natürliche, oftmals seit Jahrtausenden bestehende Abläufe eingreift und damit das ökologische Gleichgewicht zerstört.
Hier aber kommen wir zum Kernproblem der Niederwildmisere, der Biotopzerstörung nämlich.

8. Biotopzerstörung
Wie wir gesehen haben, schwankt eine Tierpopulation um einen von der Landschaftsform mit ihrem Angebot an Biotopen gegebenen Mittelwert. Noch nie hat der Mensch aber in solch einschneidendem Maße in die Gestaltung der Landschaft eingreifen können, als gerade in den letzten Jahren unseres Industriezeitalters.
8.1. Landwirtschaft
Moderne landwirtschaftliche Anbaumethoden bevorzugen großflächige Monokulturen, die nur durch reichliche Anwendung von Kunstdüngern und regelmäßiges Spritzen von Herbi- und Fungiziden aufrechterhalten werden können. Dabei führt der Einsatz immer schwereren Geräts zwangsläufig zur Uniformität, zur sogenannten Kultursteppe. Weiterhin bewirken neue Erkenntnisse in der Viehzucht einschneidende Veränderungen in der Wahl und Verwendung der Futterpflanzen. Hackfrüchte werden beispielsweise durch den Mais verdrängt, und die Frühmahd zwecks Silage wird heute regelmäßig praktiziert. Parzellisierte Anbauflächen - ein abwechslungsreiches Angebot an Kulturpflanzen ist damit automatisch gegeben -, Hecken, Ruderalflächen, Brachland, Feuchtgebiete usw. stehen modernen landwirtschaftlichen Methoden geradezu im Wege und verschwinden deshalb in zunehmendem Maße. Dabei ist aber gerade eine reich strukturierte, abwechslungsreiche Landschaft die Voraussetzung für eine vielfaltige Tier- und Pflanzenwelt. Neben vielen anderen Tieren werden so nach und nach auch die Niederwildarten ihrer natürlichen Lebensräume und Futterpflanzen (z.B. Ackerunkräuter) »beraubt«, wandern ab (wohin?) und stehen schließlich vor dem Aussterben. Teure Aussetzungsversuche stellen begreiflicherweise keine Lösung dar. Wie sollen die Tiere ohne Deckung und ihnen zusagende Futterpflanzen überleben? In der Regel aus Zuchtbeständen stammend, was zumeist eine Verkümmerung natürlicher Verhaltensweisen zur Folge hat, fallen sie schnell ihren natürlichen Feinden zum Opfer.
8.2. Forstwirtschaft
Auch in der Forstwirtschaft - vor allem in der privaten - geht der Trend in Richtung Monokultur. Dabei werden schnellwüchsige Nadelhölzer, hauptsächlich Fichten, bevorzugt. Da in Fichtenwäldern Kraut- und Strauchschicht fehlen, stellen sie einen recht eintönigen, nur von wenigen Tierarten genutzten Lebensraum dar. Waldhasen, um nur diese Tierart zu nennen, wird man vergeblich suchen.
8.3. Straßenbau
Beim Ausbau unseres Straßennetzes, hauptsächlich aber durch den Autobahnbau, gingen viele Acker-, Wiesen- und Waldflächen verloren. Daß jedes Jahr Tausende von Tieren, darunter auch manches Stück Wild, dem Verkehr zum Opfer fallen, fand schon Erwägung.
8.4. Zersiedlung der Landschaft
Der Wohlstand in unserem Lande ging Hand in Hand mit einem nie gekannten Bauboom. So platzten viele Ortschaften bald aus allen Nähten. Die meisten Gemeindeväter waren diesem Ansturm nicht gewachsen, Baugenehmigungen wurden mehr oder weniger planlos drauflos erteilt, und die Häuserreihen fraßen sich oft kilometerweit in die Landschaft hinein. Hinzu kamen dann noch Industriezonen, Feriensiedlungen, Campingfelder, Sportkomplexe und die freie Natur verunzierende Weekendhäuser und Wohnwagen. Daß all dies auf Kosten der Natur ging, dürfte jedem einleuchten.
Die beiden zuletzt aufgeführten Punkte zeigen, wie wichtig eine vernünftige, ökologischen Faktoren Rechnung tragende Landesplanung ist.

9. Anregungen

Literatur:
1) ACINER (1979): Premières données sur la Buse Variable en Alsace, Ciconia Vol. 3 Fasc. 3
2) Berndt W. (1980): Greifvögel. Ursachen der Niederwildmisere? Wild und Hund 1980/4
3) Bezzel E. (1980): Das Elend mit dem Schutz der Greife, Kosmos 5/80
4) Conrad B. (1977): Die Giftbelastung der Vogelwelt Deutschlands. Vogelkundliche Bibliothek Bd. 5
5) Pfister H.P./Rimathé R. (1979): Die Schweizerische Hasenforschung. Feld, Wald, Wasser; Schweizerische Jagdzeitung 1979/2
6) Glutz von Blotzheim U.N./Bauer K.M./ Bezzel E. (1971): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 4, Frankfurt/Main
7) Mebs Th. (1964): Zur Biologie und Populationsdynamik des Mäusebussards. Journal für Ornithologie, Bd. 105, Heft 3
8) Nore Th. (1978): Rapaces diurnes communs en Limousin pendant la période de nidification, Alauda 1979/3
9) Wassenich V. (1964): Der Bestand von Mäusebussard und Turmfalke in Luxemburg, Regulus, Bd. 8, Nr. 2
10) Wittenberg J. (1972): Der Brutbestand von Mäusebussard, Rotmilan und Habicht 1958 und 1970 bei Braunschweig und das Problem der Vergleichbarkeit. Die Vogelwelt 1972/6

Anschrift des Verfassers: Ed. Melchior, 14, rue des Prés, Mondercange


L N V L Haus vun der Natur Kräizhaff, route de Luxembourg, L-1899 Kockelscheuer
Tel. 29 04 04 - Fax. 29 05 04 - Email: secretary@luxnatur.lu - Web: http://www.luxnatur.lu