In memoriam: Marcel Hulten (1912-1973)
Am 10.
Februar 1973 verschied, im Hospital in Düdelingen, Herr Marcel
Hulten aus Kayl. Wohl waren alle aus seinem Bekanntenkreis seit Jahren
über einen labilen, von ihm tapfer in Kauf genommenen
Gesundheitszustand unterrichtet, und doch kam die Kunde von seinem
Hinscheiden völlig überraschend. Sie hinterließ
zunächst tiefste Bestürzung, bei all denen, die ihn
näher gekannt haben, jäh aufkeimende Trauer und eine
beklemmende Leere...
Mit dem Verstorbenen verband den Unterz. zwei Jahrzehnte lang eine nie
überschattete Freundschaft sowie das unverrückbare
Zusammengehörigkeitsgefühl des gemeinsam im Felde
Erarbeiteten. — In all den Jahren schälte sich
allmählich heraus: Marcel Hulten war ein zäh aber bescheiden
und zumeist im Stillen Forschender. Lobhudelei, Personenkult oder
jegliche Schaufensterpose waren ihm zuwider, und so zählte
für ihn stets die Sache, nie aber der Fähnrich ...! Es wird
dem Unterz. demnach keine leichte Aufgabe sein, das Lebenswerk des
außergewöhnlichen Menschen und profilierten Ornithologen
Hulten in den Grundriß eines nüchternen Nachrufes zu
zwängen, ohne zu sehr an überschwengliche
Gefühlsausdrücke anzulehnen, die dem verstorbenen Freund
zeitlebens so wenig bedeutet haben:
Marcel Hulten erblickte das Licht der Welt am 7. August 1912. Seine
Kindheits- und Jugendjahre verbrachte er in seinem Geburtsort Kayl.
Nach Abschluß entsprechender Fortbildungsstudien trat er 1936 in
die Bürodienste der Grubengesellschaft Halancy ein. Aber schon im
Kriegsjahr 1942 mußte er seiner Arbeitsstelle aus
gesundheitlichen Gründen auf immer fernbleiben.
Von da an sollte sich die Ornithologie als ein Reservoir erweisen, aus
dem Marcel Hulten die physischen und moralischen Kräfte sowie den
unbeugsamen Lebenswillen schöpfte, um fürwahr weitgesteckte
Ziele zu erreichen. Er, der vom Schicksal in gesundheitlicher Hinsicht
so stiefmütterlich Behandelte, verzichtete konsequent auf alle
kräftezehrende Vergnügen und Genußmittel, auf die ganze
Hektik der heutigen Lebensweise überhaupt, opferte aber der
vogelkundlichen Wissenschaft bereitwillig alles Geforderte.
Zum ersten Mal erscheint der Name Hulten im Februar/März-Heft des
»Bulletin« 1926, und zwar unter der Rubrik »Nouveaux
membres«. Seinen ersten kleinen Beitrag im Vogelschutzorgan
veröffentlichte er als Fünfzehnjähriger unter
»Ornithologische Beobachtungen« der Mai-Nummer 1927.
Nachdem er inzwischen (1934) die Funktion des Schriftführers der
Vogelschutzsektion Kayl übernommen hatte, trat er im August-Heft
des »Bulletin« 1936 erstmals mit einer größeren
Studie über den Kranichzug an die Öffentlichkeit.
Im Herbst 1938, als sich am politischen Horizont Europas bereits
unheilträchtige Gewitterwolken zusammengezogen hatten, kam es
zwischen dem damaligen Schriftleiter des Verbandsorgans, Joh. Morbach,
und ihm zum endgültigen Bruch. Die Folge der nicht
auszuräumenden Meinungskontroversen war, daß der Entfaltung
eines vielversprechenden Talentes vorerst Hemmschuhe gelegt worden
waren.
Dann kam der unselige Krieg, im Gefolge die Nachkriegswirren. Und
gerade jetzt sollte es sich erweisen, in welch hohem Maße der
nunmehr Vierzigjährige sein fachwissenschaftliches Rüstzeug
in den zwischenliegenden Jahren angereichert hatte. Nicht zuletzt war
er durch seine souveräne Vogelstimmenkenntnis zum
verläßlichen Spezialisten der Artdiagnose im Freiland
aufgerückt. Synchron hierzu hatte er eine schon damals
reichhaltige Balg-, Eier- und Rupfungssammlung zusammengetragen,
befaßte sich mit der Vogelberingung, nahm Gewöllanalysen vor
und schoß, so ganz nebenbei und mit primitiveren Mitteln, manch
seltene Vogelaufnahme. Mit der ihm typischen Gründlichkeit hatte
er inzwischen eine reichhaltige Vogelkartei angelegt, die zum
Grundstock der später eingerichteten ornithologischen Zentrale
wurde. — Am besten, ich zitiere hier die Worte, mit denen unser
Verbandspräsident, Herr René Kayser, die Verdienste von
Marcel Hulten gelegentlich der Übergabe der Redaktion an den
Unterzeichneten im Jahre 1965 so treffend charakterisiert hat:
„Rund 13 Jahre lang, seit 1952, lag die Redaktion unserer
Zeitschrift in den Händen von Herrn Marcel Hulten, Kayl.
Während all diesen Jahren flatterte »REGULUS« den
Mitgliedern des Luxemburger Landesverbandes für Vogelkunde und
Vogelschutz regelmäßig alle zwei Monate auf den Tisch;
für vielfach hochgeschraubte, typisch zeitgenössige
Ansprüche gewiß eine Selbstverständlichkeit! Nur wenige
legten sich Rechenschaft darüber ab, welch ein Riesenpensum an
rastlosem Schaffen eigentlich zum reibungslosen Ablauf der
Redaktionsgeschäfte erforderlich war. Darüberhinaus war das
fruchttragende Wirken von Marcel Hulten nicht nur redaktioneller,
sondern auch feldornithologischer, bibliothekarischer oder sonstiger
wesensverwandter Art.
Es liegt mir fern, unserem scheidenden Redakteur vor den Augen der
Öffentlichkeit einen Lorbeerkranz zu winden; denn sein Werk ist
— so hoffen wir — noch weit davon entfernt, zur Endform
ausgereift zu sein. Den am Ende der eben abgelaufenen Zeitspanne
aufgestellten Markstein deuten wir infolgedessen nicht als
Abschluß —, sondern als Zwischenbilanz ...
Nichtsdestoweniger sehe ich mich zurückversetzt in die Zeit zu
Anfang der Fünfzigerjahre: Vieles war damals anders, als es heute
ist! Entbehrungsreiche Kriegsjahre, zwangsläufig im Gefolge die
Nachkriegswirren, hatten den Körper der Vogelschutzliga
ausgelaugt, bis auf fragmentarische Restbestände zerschlagen. Es
fehlte damals an zuverlässigen Hilfskräften und an
hoffnungsvollen Adepten der scientia amabilis. Es fehlte an
finanziellen Mitteln, an aktueller Fachliteratur, an moderner optischer
Ausrüstung der wenigen Lokalfaunisten, an ersprießlichen
Kontakten mit ausländischen Forschungszentren und an vielem andern
mehr. Kurz, es gab damals wohl eine Handvoll zum selbstlosen Einsatz
bereiter Gleichgesinnter, aber vor ihnen weitete sich ein
Aufgabenbereich, unübersehbar und horizontlos ... Die
fachwissenschaftlichen Kenntnisse und das angeborene
Organisationstalent Marcel Hulten's hatten bereits damals eine
festumrissene Persönlichkeit geprägt, deren feinfühlige
Umgansformen dem Mitforschenden gegenüber wegweisende Impulse
ausstrahlte. Wenn die luxemburgische Feldornithologie mit den Jahren
zur gegenwärtigen Blüte auswuchs, so darf Hulten ruhigen
Gewissens den größten Teil des Verdienstes für sich
beanspruchen ..."
Durch Vermittlung des bis heute unvergessenen J.-P. Hein lernte ich
Marcel Hulten im Sommer 1951 kennen. Anlaß gab der erste
Brutnachweis des Flußregenpfeifers in Luxemburg. Auf Anhieb
fühlte ich die Dankbarkeit, mit der dieser bedeutende
Feldornithologe fachkundliche Höhepunkte seiner
Forschertätigkeit entgegennahm. So schrieb er mir unter dem Datum
vom 14. August 1951: „ ... Mir haben Sie jedenfalls viel Freude
bereitet, denn es war dieser 7. August einer meiner schönsten
Geburtstage ..."
Von da an sollten wir mehr als 2 Jahrzehnte lang eng zusammenarbeiten;
eine Zeit, die überreich war an feldornithologischen Erlebnissen.
Unser gemeinsames Forschungsvorhaben bestand hauptsächlich in
Biotop- u. Siedlungsdichtestudien, u. so häuften sich Notizen auf
Notizen, die bald mehrere Schubladen füllten. Sie fanden
schließlich ihren literarischen Niederschlag in »Die
Vogelfauna Luxemburgs«. Dieses Werk, das wir über alle
Hürden und Gräben hinweg endlich 1960/61 veröffentlichen
konnten, wurde für Marcel Hulten zur Krönung einer zu diesem
Zeitpunkt mehr als 30 Jahre währenden vogelkundlichen
Betätigung.
Wie oft dieser unermüdliche Ornithologe während der 13 Jahre
seiner Tätigkeit als Redakteur des Verbandsorgans — nebenbei
schrieb er auch gelegentlich in verschiedenen Wochen- oder
Tageszeitungen und stand in nie abreißender Korrespondenz mit
namhaften Sachkennern des Auslandes — zur Feder griff,
läßt sich heute kaum noch ermessen. Dabei war er stets auf
das fachwissenschaftliche Niveau von REGULUS bedacht, und er verhalf
unserer Zeitschrift mit den Jahren zu relativ hohem Ansehen im In- und
Ausland. Es würde zu weit führen, die zahllosen Beiträge
aufzuzählen, die Marcel Hulten in REGULUS publizierte.
Herausragende Arbeiten, die sowohl von einer fundierten Sachkenntnis
wie auch einem hochentwickelten Beobachterspürsinn zeugten, waren
mehrere zusammenfassende, z.T. fast monographische Abhandlungen:
Diesbetreffende Studienobjekte waren der Kranichzug in Luxemburg, eine
Zwischenbilanz der Vogelberingung in unserem Lande sowie die
Brutbiologie von Feldschwirl, Waldschnepfe, Weidenmeise u.a. Sein
letzter Beitrag im Verbandsorgan war eine kleine Studie über eine
sprechende Saatkrähe, kurz bevor der Tod ihm das Schreibzeug
endgültig aus der Hand nahm.
An Ehrenbezeugungen und Anerkennungen, die Marcel Hulten zu Lebzeiten
verdientermaßen entgegengebracht wurden, sind zu erwähnen:
Korrespondierendes Mitglied der belgischen »Société
d'Etudes Ornithologiques AVES« und des »Institut
Grand-Ducal, Section des Sciences naturelles, physiques et
mathématiques«, Präsident des CIPO, Sektion
Luxemburg, Träger des goldenen Verdienstabzeichens der L.L.E.P.O.,
Präsident der Homologierungskommission, Ehrenpräsident der
Sektion Kayl—Tetingen.
Von der Persönlichkeit Marcel Hulten ausstrahlende
Charakterzüge waren Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, neidloses
Anerkennen sowie stete Fairness dem Mitforschenden gegenüber.
Über allem aber stand seine schon fast fanatische Liebe zu
Vogelwelt, Natur und Heimat. Wie sehr ihm das Wohl der einheimischen
Ornis am Herzen lag, wurde nicht zuletzt 1962 offenkundig, als er der
Geschäftsführung des Landesverbandes eine Spende von 10
000,— Franken zwecks Speisung des Fonds zum Ankauf von
Vogelreservaten überwies.
Zum Sichtbarmachen der edlen Charakterzüge Hulten's bedarf es
gewiß nicht einer seiner beiden letzten Gesten: des
testamentarischen Nachlasses von 380000,— Franken an den
Luxemburger Landesverband für Vogelkunde und Vogelschutz —
oder der Schenkung seiner wertvollen Eier- u. Balgsammlung an das
Staatsmuseum in Luxemburg.
Mit Marcel Hulten ist ein Mensch von uns gegangen, der stets Ratgeber,
Wegweiser und leuchtendes Vorbild gewesen ist; ein begeisterter
Ornithologe, dem die auserwählte Wissenschaft nicht Stillen des
Wissensdurstes oder Ehrgeizes, sondern Lebensinhalt war. Und wenn er
einmal zur Kritik und Beurteilung eines delikaten Sachverhaltes
herausgefordert wurde, handelte er stets feinfühlig und
sachbezogen. Marcel Hulten hat in einer kritischen Phase der Geschichte
des Landesverbandes, auch in der Sektion Kayl, Unvergängliches
geleistet. So vermögen wir unsere hohe Dankesschuld am besten
dadurch abzutragen, indem wir uns bei künftigen
Forschungsbemühungen an seinem beispielhaften Einsatz orientieren
und wir auf diese Weise diesen großen Luxemburger Ornithologen
auf immer in unseren Reihen weiterleben lassen.
Möge die Erde Dir leicht sein, Freund Marcel; die rote Erde des
Kayltals, das Dir zeitlebens so viel bedeutet hat!
Victor Wassenich
Veröffentlicht in Regulus 1973/2 S. 23-26
Marcel Hulten zum
Gedenken.
Im 61. Lebensjahr verstarb im Februar 1973 nach langer Krankheit Herr
Marcel Hulten aus Kayl, einer der bekanntesten und profiliertesten
luxemburgischen Ornithologen. Zahlreiche Beiträge in dem
luxemburgischen Verbandsorgan "Regulus" zeugen von einer
unermüdlichen Schaffenskraft - die letzte grössere Arbeit,
1972 publiziert, behandelt die Weidenmeise im Grossherzogtum Luxemburg.
Nicht zuletzt als einer der beiden Verfasser des Werkes "Die Vogelfauna
Luxemburgs" wurde er auch ausserhalb der Grenzen des Grossherzogtums
weithin belkannt.
Nach dem 2. Weltkrieg war er es, der als erster luxemburgischer
Ornithologe den Kontakt mit den Trierer Vogelfreunden und Ornithologen
suchte - das 1. Schreiben richtete er am 25.6.1956 an den
Unterzeichneten - und ihn auch bis zu seinem Tode pflegte.
Die Vogelkundigen des Trierer Landes werden den Menschen und
Ornithologen Marcel Hulten nicht vergessen!
Bernhard Jakobs
Veröffentlicht in Dendrocopos 1972 S. 3
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